Page 13 - Pan Februar 2021
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 keine Zeit mehr in den Einkauf von Wa- ren investieren wollen. Warum muss Hello Fresh seine Produkte deutschlandweit per DPD versenden? Geht das regional nicht frischer, ökologischer?
Kommen wir zurück zu den drei Hambur- ger Gastronomen. Ich kenne alle drei, die das machen. Die sind erst einmal mit ei- nem sehr leidenschaftlichem Verständnis von Essen gestartet. Die Jungens von Salt & Silver haben Mexiko und ganz Südame- rika bereist. Die waren in allen Ländern für deren Gerichte, die sie kochen. Die bau- en ihre Chilis selber an. Vena war wegen seiner Momo-Bans ein paar Male in Japan, um vor Ort zu studieren, wie gute Ramen gemacht werden. Aus der Covid-beding- ten Not wurde dann der Gedanke gebo- ren, den Umsatz, den sie brauchen, auf anderen Wegen zu erzielen. Wenn sie jetzt festgestellt haben, dass das Konzept auf- geht, halte ich es für normal, zu schauen, wie groß ich dieses Konzept denken kann. Möglicherweise werden sie dazu kommen, dass die längeren Wege außerhalb Ham- burgs den Produkten nicht gut tun ...
... was ich persönlich nicht schade finden würde. Wie gesagt, ich würde mir gerne diese Romantik bewahren, dass gutes Es- sen nicht online handelbar ist ... Während wir uns unterhalten und ich dir zuhöre, merke ich, wie es sich Engelchen und Teu- felchen auf meinen Schultern bequem ma- chen. Manches finde ich toll. Bei manchem meckert mein Gehirn. Ich selbst denke sehr gerne im Wir, in Gemeinschaften. Mein
Problem ist, dass ich dabei an real exis- tierenden Köpfen hängenbleibe. Da fällt es mir bisweilen schwer, deren Kooperations- fähigkeit/- bereitschaft zu erkennen. Diese Sicht teile ich. Ich sehe einen sol- chen Paradigmenwechsel auch nicht von heute auf morgen, sondern als Prozess. Dieses historische Denken wird sich möglicherweise nach und nach rauswa- schen. Wichtig ist, dass wir angefangen haben, diesen Weg zu gehen. Was jetzt noch mikroskopische Veränderungen sind, könnte irgendwann vorherrschende Praxis werden. Viele Veränderungspro- zesse gehen von wenigen Menschen aus, die einen Leidensdruck haben und dar- aufhin die ersten kleinen Schritte in eine andere Richtung gehen.
So ist zum Beispiel diese „Leere Stühle“- Aktion3 von einer Gruppe von Gastrono- men in Dresden ins Leben gerufen wor- den und zu einer bundesweiten Aktion mutiert.
Schau dir die Aktion „Kochen für Helden“4 an, die Max Strohm vom Berliner Sterne- Restaurant Tulus Lotrek ins Leben ge- rufen hat. Die bekochen in der Corona- Krise Ärzte und Pflegepersonal. Dieser Aktion haben sich viele Restaurants an- geschlossen, die haben da wirklich etwas losgetreten.
Wir haben uns mittlerweile daran ge- wöhnt, dass sich aus kleinen Initiativen heraus eine gewaltige Macht entwickeln kann, die Veränderungen revolutionsartig
beschleunigt ... denken wir an Greta Thun- berg. Oder schauen wir uns an, wie unsexy mittlerweile Rauchen geworden ist. Viel- leicht haben wir irgendwann eine Gastro- nomie-Kultur, wo es unsexy ist, nicht für den Straßenzug, die Region, die Gemein- schaft zu denken? Wo a-soziales Verhalten geächtet wird?
Es gibt diese Beispiele. Du wirst die Hotel- kette 25hours kennen. Die Jungens kom- men ursprünglich aus Hamburg. Das sind extrem pfiffige Unternehmer. Die haben an ihrem Standort in der Hafen-City ein Experiment gestartet. Deren Aussage war: „Wir haben eh eine Rezeption, die mit un- seren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt ist. Dann lass uns doch zugleich etwas für die Community hier in der Ha- fencity machen.“ Die haben dann eine Wä- scheannahme dort eingerichtet.
Wir denken Gastronomie immer noch im Sinne von closed shops. D.h. der Gast hat Hunger und reserviert einen Tisch bei mir. Den nimmt er um 18:00 Uhr ein und ist um 20:00 Uhr wieder weg. Ich lass jetzt mei- ne Gedanken einfach mal laufen .... Wer sagt denn, dass nicht irgendwann unser Edeka-Markt Wilger in Borken einen Teil seiner produzierten Waren von einheimi- schen Gastronomen bezieht?
Da hinken meine Gedanken noch hinterher, so weit reicht mein Horizont noch nicht. Wenn du das ökologisch denkst, könnte das Sinn machen. Edeka, die ja „Lebens- mittel lieben“, haben zum Teil vorprodu- zierte Produkte, die quer durch die Repu- blik gefahren werden.
Kann es nicht sinnvoller sein, Produkte hei- mischer Erzeuger mit anzubieten, auch aus der Gastronomie? Können wir mit z.B. 20 Gastronomen aus dem Bereich Borken ei- nen Teil der Produkte, die international ge- liefert werden, wie von Unilever oder Nest- lé, nicht durch regionale Anbieter ersetzen?
Du bist meiner konventionellen Gedanken- welt wirklich weit voraus ...
Mag sein ... Ich denke auch, dass die Gren- zen zwischen Gastronomie und Einzel- handel punktuell verschwimmen werden.
Das klingt möglicherweise noch utopisch. Ich sehe das auch nicht im Großen, son- dern eher mit den kleinen Veränderun- gen, wie schon erörtert. Es geht darum,
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