Page 12 - Pan Februar 2021
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Gastronomen leben von Gästen. Wenn wir nur für uns alleine denken würden, hät- ten wir andere Themen schon wesentlich schneller umgesetzt. Ich denke dabei an Löhne, Arbeitssituationen und Nachhaltig- keit. Aber das hat alles seinen Preis, den wir letztendlich auf die Gäste umlegen müs- sen. Hier tut sich gerade eine Chance auf, für ein gemeinsames Umdenken. Vielleicht kommen wir dahin, dass wir irgendwann die Preise verlangen dürfen, die wir brau- chen, um gute Produkte zu kaufen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, wo Menschen motiviert ihren Job machen können.
Quasi um die Schieflage in eine Win-Win- Situation zu verwandeln ...
Genau.
Was könnte sich noch verändern?
Das Thema Technologie. Wir sprechen über ca. 200.000 gastronomische Betrie- be in Deutschland. Von denen haben ei- nige eine leichteren Zugang zur Technik, weil sie es verstehen. Es gibt aber noch viele, die sich schwer damit tun. Da spre- chen wir über kontaktloses Bezahlen, d.h. via Handy. Vielleicht wird das Bargeld ir- gendwann abgeschafft? Ich verstehe die Argumente wie Kontrollverlust und die fehlende Romantik beim persönlichen Be- zahlvorgang. Aber es hat für den Ablauf einfach enorm viel Vorteile.
Damit kein Missverständnis aufkommt ... Unsere Grundhaltung ist: Gastronomie braucht Menschen und muss menscheln. Aber wir diskutieren auch Konzepte wie Self-Ordering – als Ergänzung. Wir haben das nicht gesucht, aber Covid hat uns ge- zwungen, uns damit auseinanderzusetzen. Es ist eine andere Bereitschaft vorhanden, sich damit auseinanderzusetzen, um mög- licherweise auch Vorteile zu erkennen, für die wir bislang nicht offen waren.
Die Frage ist, wo macht Technik Sinn? Wir werden im Mahl & Meute oder im bonfire nie Screens aufhängen, wo unsere Speise- karte visualisiert wird. Aber wenn wir Pro- zesse vereinfachen können für den Gast und für uns, sollten wir darüber nach- denken. Vielleicht werden wir außer Haus liefern ... wo der Kunde den Vorgang über eine App auslösen kann. Das sind Dinge, mit denen wir uns beschäftigen – aber auch ein Teil unserer Kollegen in der Gas- tronomie.
Lass uns doch mal da reingehen. Als der ers- te Lockdown kam, war das ein Schock für alle. Was wir bei uns erlebt haben, war ein Mitfühlen für eine Branche, in der wir viele Freunde haben. Was wir beobachtet haben, ist der unterschiedliche Umgang der Gastro- nomie mit dieser Herausforderung. Wir tei- len mit dir die Leidenschaft für die schönste Stadt Deutschlands – sprich: Hamburg. Wir konnten auf Facebook verfolgen, wie sich die Menschen vom Bistro Carmagniole, dem Momo und dem Salt & Silver zusammenge- tan und ein gemeinsames Konzept ersonnen und umgesetzt haben. Das war mehr als ein gemeinsamer Lieferdienst. Da ging es um ausgeklügelte, zum Teil vorproduzierte Ge- richte, wo die Bestellenden zu Hause noch Hand anlegen musste. Die Packages sahen super durchdacht und schön gepackt aus. Das erinnerte mehr an einen wohldekorier- ten Präsentkorb als an fertig produzierte Nahrung in Einwegverpackung. Ist das ein Trend ... hätte ich jetzt fast gesagt ... ist das eine Entwicklung?
Du sprichst etwas Gutes an. Ich nenne das ein Wertschöpfungsnetz, in Abgrenzung zur Wertschöpfungskette. Früher hatte man einen Produzenten, einen Großhänd- ler, einen Kleinhändler, einen Gastrono- men und einen Konsumenten – das war ein linearer Prozess.
Was ich derzeit beobachte, ist eine Art neuer Vernetzung und dies nicht nur in einer Richtung, sondern über Kreuz. Das sollten wir weiter forcieren. Gastrono- men, die auf einer Straße lagen oder in einem kleineren Ort, haben sich immer als Wettbewerber betrachtet. Da versucht man dann, günstiger zu sein als der andere oder sein Angebot spezieller auszurichten, um die Gäste zu ziehen.
Nur wenige haben darüber nachgedacht, zu kooperieren, gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Die drei Restaurants in Hamburg, die du gerade angesprochen hast ... da würde jeder das auch alleine hinbekommen, doch um welchen Preis? Es wäre mit wesentlich höheren Kosten verbunden.
Was wäre zum Beispiel, wenn man sich in einer Straße zusammentun und gemein- sam einen Pool von Aushilfen pflegen würde? Warum muss das jeder für sich machen? Man könnte Schulungsthemen gemeinsam angehen und damit Einfluss
auf den Service, den Flair eines Stadtteils nehmen – wo alle etwas von hätten.
Thema Lieferdienst – warum muss man diese monopolartige Stellung von Liefe- rando erdulden? Mit Provisionszahlungen zwischen 15 und 30 Prozent, je nach Grö- ße der Stadt. Dazu musst du noch selber fahren. Da sind wir sehr nahe am Verlust- geschäft.
Was wäre denn, wenn man es schafft, mit zehn Gastronomen einen eigenen Liefer- service auf die Beine zu stellen – als aut- arkes regionales System?
Das sind Gedanken, die in dieser Phase zum Teil auch aus der Solidarität heraus geboren wurden. Ich glaube, dass da et- was hängenbleibt. Ich glaube, dass viele Kollegen von mir erkannt haben, dass es Sinn macht, dieses Einzelkämpfer-Dasein zu durchbrechen.
Ich kann mir auch vorstellen, dass sich diese Solidarität auch auf das Preisgefüge auswirken könnte. Was wäre denn, wenn man gemeinsam dafür einsteht, faire Prei- se für gute Produkte aufrufen zu dürfen – ohne sich weiter über den Preis zu de- finieren?
Penny hat einen sehr mutigen Schritt mit einem Store in Berlin2 beschritten, indem sie in einem Flagship-Store anhand be- stimmter Produkte deutlich machen, was diese wirklich kosten müssten, wenn man ökologische Faktoren berücksichtigen würde.
Da fällt mir ein ... die drei Hamburger Res- taurants arbeiten jetzt daran, ihren Ser- vice auch deutschlandweit anzubieten.
Du verdirbst mir gerade die Laune und die Denkromantik, dass bei gutem Essen eini- ge Dinge nicht verhandelbar sind. Für gutes Essen sollte der Gast reisen und nicht das Produkt. Ich habe mit Sorge zur Kenntnis genommen, dass es Start-ups gab, die einen Gourmet-Gegenpol zu Hello-Fresh liefern wollten. Sprich: „Bausätze“, von Sterne- Gastronomen konzipiert, die den Weg zu einem solchen Ausnahme-Athleten entbehr- lich machen. Das war Gott sei dank nur von kurzer Dauer.
Bleiben wir bei Hello Fresh ... warum boomt dieses Konzept? Weil manche Menschen
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 Portrait












































































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